Eine neue Welle an Influencern macht sich derzeit in den sozialen Medien breit und trifft auf ein williges Publikum.
Mit ihren Tipps zu Kryptowährungen liegen sie jedoch häufig daneben.
Die Vorgangsweise dieser Influencer zeigt: Ganz egal wie der Markt auch aussieht, sie verdienen mit ihren Ratschlägen trotzdem viel Geld.
Im vergangenen Dezember tauchte der YouTuber Carl „The Moon“ Runefelt bei der Fox Business-Sendung auf und stellte interessante Prognosen vor.
Der Bitcoin hatte zu diesem Zeitpunkt gerade einen Sturz vom 60.000-Dollar-Rekordhoch (umgerechnet 59.800 Euro) auf 50.000 US-Dollar (ungefähr 49.900 Euro) erlitten. Doch der Krypto-Influencer, der zuvor in einem Supermarkt gearbeitet hatte, vertat die These, dass der Bitcoin-Kurs Ende 2022 auf 300.000 Dollar (umgerechnet 299.000 Euro) klettern werde.
„Bitcoin ist der Boss“, sagte Runefelt in der Sendung „The Claman Countdown.“ Er fügte hinzu: „Ich bin dankbar, dass ich in den Mainstream-Medien über Kryptos reden darf. Für mich ist das super cool, denn ich möchte, dass die Massen Kryptos annehmen.“ Runefelt hat aktuell 560.000 Follower auf YouTube.
Nur sieht die Realität ganz anders aus als die Vorhersagen Runefelts. Im Frühjahr ist der Bitcoin auf unter 20.000 Dollar gerutscht. Selbst jetzt, nach einem halben Jahr, bewegt sich die zuweilen beliebte Kryptowährung immer noch auf diesem Niveau.
Doch mit der wachsenden Popularität von Kryptowährungen ist wie über Nacht eine Generation unkonventioneller Influencer herangewachsen, die Millionen Menschen über die sozialen Medien – und zunehmend auch über traditionelle Medien – fragwürdige Ratschläge erteilen. Solche Krypto-Influencer, die aus ihren Autos und Wohnzimmern heraus streamen, gehen nicht selten an moralische Grenzen. Sie bewegen sich in einer beruflichen Grauzone: irgendwo zwischen Fernsehmoderator, Prediger, Aktienanalyst und Finanzberater.
Die Verdienste dieser Influencer haben jedoch wenig mit Kryptowährungen im eigentlichen Sinne zu tun. Viele der Influencer promoten eher Empfehlungslinks für Kryptowährungsbörsen und verdienen durch die Gebühren, die ihre Follower auf diesen Plattformen zahlen müssen. Einige verkaufen T-Shirts mit Krypto-Bildern darauf. Es gibt Online-Kurse von Influencern, die versprechen, euch über Nacht zum Kryptomillionär zu machen. Andere haben viel Geld mit Werbung von Kryptounternehmen verdient.
All dies zeigt, dass Krypto-Influencer Profit durch ihre Follower machen unabhängig davon, wie der Markt sich auch entwickelt.
Und die Popularität dieser Influencer beschränkt sich nicht nur auf das Internet. Fernsehsendungen und Medien suchen immer wieder nach Personen, die sich zu der nächsten großen Kryptowährung äußern. Und so besetzen diese Krypto-Influencer regelmäßig Sitzplätze auf Sendern wie CNBC, Fox, Forbes, Bloomberg und preisen die Vorzüge ihrer Lieblings-Tokens an, ohne dass die Referenzen oder die Glaubwürdigkeit der vermeintlichen Experten überprüft werden.
Prognosen sind daneben, die Quellen fragwürdig
„Glaubt nicht, was ich euch sage“, so warnt John Vasquez seine 1,1 Millionen Follower auf TikTok. Der 48-jährige ehemalige Bezirksleiter von Wells Fargo ist heute Influencer. Noch im vergangenen Frühling sagte er in einem seiner Videos: „Verlasst euch auf euer Bauchgefühl und eure innere Vibration.“
Vasquez‘ Prognosen sind gefloppt. Und auch wir haben Vasquez zu Wort kommen lassen – als Experten. Sechs Coins, die er den Business Insider-Lesern im November 2021 empfohlen hatte, sind im Durchschnitt um 73 Prozent gefallen. Ein weiterer Altcoin, Ripple – den er seinen Anhängern im Februar 2022 empfahl, zu kaufen und „wie eine Zecke auf einem Hund“ zu halten – ist seitdem von 0,84 Dollar auf 0,32 Dollar gefallen. In einer E-Mail sagte er, dass seine „Inhalte immer auf einer langfristigen Sicht der Märkte basieren“ und nicht dazu dienten, „schnell reich zu werden“.
Wie viele seiner Krypto-Influencer-Kollegen stammt Vasquez aus einem unkonventionellen Umfeld. Bevor er in New-Age-Plattitüden verpackte Krypto-Ratschläge verkaufte, sammelte er als TikTok-Wellness-Vlogger Hunderttausende Follower. Im Jahr 2021, nachdem er sich auf Finanzen und Kryptowährungen spezialisiert hatte, stieg die Zahl seiner Follower auf über siebenstellige Werte. Der selbsternannte „Wahrheitssucher“ nimmt nun Videos in Tank Tops auf, in denen er die Vorzüge von Jesus, TikTok und Kryptowährungen predigt.
Vasquez‘ Erfahrung im Privatkundengeschäft gibt ihm einen gewissen finanziellen Hintergrund, aber viele seiner Kollegen haben keinen. Im Gegensatz zu Mainstream-Finanzfachleuten – von zertifizierten Finanzplanern bis hin zu Analysten – haben die meisten Kryptowährungsanalysten selten irgendwelche Zertifizierungen oder Finanzausbildungen. Ben Armstrong, auch @BitBoy_Crypto genannt, ist ein Influencer mit über 1,4 Millionen Followern und leitete zuvor eine religiöse Jugend-Reha-Einrichtung in Georgia, die vom Staat kritisiert wurde, weil sie verschiedene regulatorische Standards nicht erfüllt hatte.
Christopher Jaszczynski – alias MMCrypto – war Taxifahrer, bevor er sich der Kryptowährung zuwandte und seine Ratschläge mit Nachrichtenagenturen von Forbes bis CNBC teilte. Runefelt arbeitete als Kassierer in einem Supermarkt, bevor er auf YouTube mit Krypto groß rauskam und nach Dubai zog.
Jaszczynski und Armstrong haben eine ähnliche Erfolgsbilanz wie Runefelt und Vasquez. Jaszczynski sagte voraus, dass Bitcoin die 300.000-Dollar-Marke erreichen werde, bevor der Kurs schließlich einbrach. Armstrong setzte sich für die renditestarke Krypto-Sparplattform Celsius ein, bevor diese Anfang des Jahres Konkurs ging.
Runefelt, Jaszczynski und Armstrong haben nicht auf E-Mails von Business Insider geantwortet, in der sie um einen Kommentar gebeten wurden.
„Man muss mehr Erfahrung haben, bevor man den Notgroschen von jemandem in die Hand nimmt und ihn berät“, sagte Ed Gjertsen, der ehemalige nationale Vorsitzende der Financial Planning Association, zu Business Insider. Laut Gjersten durchlaufen traditionelle Finanzberater einen strengen Ausbildungsprozess, bevor sie mit dem Geld anderer Menschen umgehen. Außerdem gelten für sie oft strenge Regeln für die Offenlegung von Straftaten oder Insolvenzen sowie für Investitionen, die zu Interessenkonflikten führen könnten.
Sowohl Vasquez als auch Armstrong meldeten in den frühen 1980er Jahren Konkurs an, was bei vielen Finanzdienstleistern eine Offenlegung gegenüber einer Aufsichtsbehörde wie der SEC (US-Börsenaufsichtsbehörde für die Kontrolle des Wertpapierhandels) erfordern würde und von potenziellen Arbeitgebern genau geprüft würde. YouTuber sind auch nicht verpflichtet, ihre Beteiligungen vollständig offenzulegen, sodass die Zuschauer nicht wissen, ob der Creator der Inhalte eine Beteiligung an dem hat, was er oder sie anpreist. Vielleicht aus Angst, gegen die Vorschriften zu verstoßen, fügt Armstrong seinen Videos schriftliche Haftungsausschlüsse hinzu, in denen er versichert, dass seine Ansichten „ausschließlich persönliche Meinungen sind … KEINE Finanzberatung“.
Natürlich ist Krypto-YouTube weit von der regulierten Welt des traditionellen Finanzwesens entfernt. Und selbst Wall-Street-Veteranen und Analysten liegen mit ihren Vorhersagen oft falsch. Jim Cramer von CNBC – ein früherer Goldman-Sachs-Mitarbeiter – wurde für seine Marktansichten und Aktienauswahl häufig parodiert. Einige Experten sind jedoch der Meinung, dass die Anerkennung des Fachgebiets dazu beitragen könnte, mehr Kontrolle in die Branche zu bringen.
Laut Donna Hitscherich, einer Professorin an der Columbia Business School, kann die Zulassung von Influencern den Verbrauchern die Gewissheit geben, dass sie über ein grundlegendes Verständnis des Kryptowährungsmarktes verfügen und einem professionellen Standard entsprechen. „Qualifikationen sind zwar keine Lösung, dennoch geben sie uns etwas mehr Sicherheit“, sagte sie.
Wenn die Zahlen nicht mitspielen, verlassen sich die Influencer auf alternative Einnahmequellen
Wenn ihre Vorhersagen ins Stocken geraten, nutzen viele Krypto-Influencer andere Einnahmequellen, um ihre eigenen Brieftaschen aufzufüllen.
Viele stützen sich stark auf Empfehlungslinks, also Affiliate-Marketing, und erhalten im Gegenzug finanzielle Anreize von Kryptowährungsbörsen, wenn sie ihnen Kunden schicken. Armstrong und andere haben wiederholt Binance, eine der größten Krypto-Börsen der Welt, durch Affiliate-Links beworben. Aber auch kleinere Handelsplattformen wie Phemex und Bitget, bieten Influencern ähnliche Anreize. Auf Youtube finden sich zahlreiche Krypto-Handels-„Tutorials“ Dutzender weniger prominenter Influencer, die ihre Zuschauer dazu bringen wollen, ihre Empfehlungslinks zu nutzen.
Armstrong, Runefelt und Jaszczynski haben auch stark für Bybit geworben, eine in Singapur ansässige Kryptowährungsbörse, die es den Nutzern ermöglicht, mit riskanten Margins zu handeln. Diese Methode ermöglicht es Händlern, beim Handel geliehene Vermögenswerte zu verwenden, was zu überdurchschnittlichen Renditen führen kann. Es kann aber auch ein Vermögen völlig vernichten, wenn der Markt den Bach runtergeht. Die konkurrierende Börse Coinbase bot ihren Kunden kurzzeitig das Dreifache ihrer Sicherheiten als Hebel an, bevor sie diese Option wegen Bedenken der Aufsichtsbehörden wieder einstellte. Bybit jedoch ermöglicht seinen Nutzern den Handel mit einem 100-fachen Hebel.
Aaron Sharockman, ein Vizepräsident der Medienethik- und Bildungsgruppe Poynter, sagte zu Business Insider, er habe Bedenken, dass diese Empfehlungssysteme Anreize für die Berichterstattung von Influencern schaffen oder sie zu einem rücksichtslosen Handelsverhalten verleiten könnten.
„Damit ich – der Creator – Geld verdienen kann, müsst ihr – die Nutzer – nur in dieses Programm investieren. Es ist mir egal, ob du gewinnst oder verlierst, es ist nur wichtig, dass du investierst“, umschrieb er es. „Wenn es sich um eine solche Transaktion handelt, hat der Erfinder nur ein Ziel: Euch dazu zu bringen, Geld in dieses System zu investieren. Sie haben kein Interesse daran, dass ihr erfolgreich seid. Dieser Teil ist für sie nicht wichtig. Und sobald wir diese Verbindung, diese Bindung zwischen dem Urheber und dem Nutzer beseitigen, haben wir wirklich ein ethisches Problem.“
Bybit behauptet, über 11.000 Influencer-Partner zu haben, und bietet ihnen 500 Dollar für jede Empfehlung und eine 30-prozentige Provision auf die Gebühren, die Bybit für jeden getätigten Handel erhält. Insgesamt gibt Bybit auf seiner Website an, dass es mehr als 5600 Bitcoins an Provisionen ausgezahlt hat – mehr als 120 Millionen Dollar (ungefähr 119.8 Millionen Euro) zu heutigen Preisen.
Bezahlte Online-Kurse sind ein weiteres beliebtes Geschäftsmodell für Influencer. Ben Armstrong wirbt für ein Krypto-Schulungsprogramm namens Bitlab Academy, das 30 Dollar pro Monat kostet. Vasquez verkauft seinen Anhängern die „3T Warrior Academy“, eine Krypto-Gruppe nur für Mitglieder, die die Bedeutung des Kryptowährungshandels, der Fitness und der Denkweise lehren soll. Vasquez hat zuvor behauptet, „siebenstellige Summen“ von seiner Akademie zu machen, und erzählte Business Insider, dass die Akademie mehr als 1200 Mitglieder habe.
Zu Beginn des Jahres hat sich der Twitter-User @ZachXBT als Sponsor ausgegeben, um auf Armstrongs Kanal zu landen.
Lauf @ZachXBT hat dieser ihm eine Preisliste geschickt. Der Liste ist zu entnehmen, dass Armstrong für einen Artikel 2.500 Dollar (etwa 2490 Euro) und für ein YouTube Interview bis zu 40.000 Dollar (etwa 39.900 Euro) verlangt. Die „Washington Post“ berichtete zuvor von Armstrongs Abmachungen, um Personen auf seiner Plattform auftreten zu lassen. Armstrong erzählte der Post im Januar 2022, dass er so „ungefähr eine Million Dollar“ auf diesem Weg verdient habe.
Die Preisliste, die von ZachXBT veröffentlicht wurde, zeigt, dass Dutzende kleine Krypto-Influencer ähnliche Deals abschließen.
Ein ehemaliger Anwalt der Federal Trade Commission (FTC), Chris Leach, erklärte Business Insider, dass Influencer mit den Werbevorschriften der Regulierungsbehörde in Konflikt geraten könnten, wenn sie das Sponsoring nicht ordnungsgemäß offenlegen. Um die Öffentlichkeit ordnungsgemäß zu informieren, müssen sie das Sponsoring während des Videos kommunizieren – nicht nur durch die Angabe #ad in der Beschreibung oder andere Methoden, die ein Zuschauer leicht übersehen kann.
In den letzten Monaten haben Aufsichtsbehörden wie die FTC und die Securities Exchange Commission ihre Krypto-Durchsetzungsteams aufgestockt und die Öffentlichkeit vor Krypto-Betrug gewarnt („false promises of easy money“), teilweise aufgrund der vielen Verbraucherbeschwerden.
„Betrug begleitet uns schon seit langem“, sagte Leach, der jetzt Partner bei Mayer Brown ist. Krypto „ist die neueste Art von Betrug, die die Behörden beobachten“.
Bei den Krypto-Influencern scheint kein Ende in Sicht zu sein
Diesen Sommer hat die Federal Trade Commission strengere Regeln für Influencer-Werbung vorgeschlagen. Ähnliche Maßnahmen wurden auch anderswo auf der Welt ergriffen, von Australien bis zum Vereinigten Königreich. Doch trotz der geringen behördlichen Aufsicht zeigen die Krypto-Influencer kaum Anzeichen einer Verlangsamung – trotz des rapiden Rückgangs des Kryptomarktes.
Armstrong, Vasquez und Jascynski verkaufen Hüte, T-Shirts und Tassen mit Slogans, mit denen die Fans ihre Verbundenheit mit den von ihnen gewählten YouTube-Stars und Kryptowährungen zeigen können. Für diejenigen, die unter dem jüngsten Crash leiden, bietet Armstrong ein T-Shirt mit dem Slogan „Keep calm and buy the dip“ an.
Runefelt kam auf die Liste der „30 unter 30″ von Forbes Monaco. Im August war er auf dem Cover der Nahost-Ausgabe des Entrepreneur Magazine. In einem Auftritt im Wirtschaftsnachrichtensender Cheddar wurde Runefelt als „Milliardär“ bezeichnet.
Die Krypto-Influencer genießen die Aufmerksamkeit, einige von ihnen reagieren jedoch allergisch auf Kritik. Wer ihre Einschätzungen kritisiert, wird fertig gemacht. In einem Video vom vergangenen Winter beschrieb Armstrong seine Kritiker als Personen mit „extrem niedrigem IQ.“ Dann fügte er jedoch hinzu, dass man seine Tipps als Unterhaltung sehen sollte. „Prognosen sind nur zum Spaß da“, sagte er. „Genau solche Videos wollen die Leute sehen.“ Seitdem hatte er Auftritte als Krypto-Experte bei Top-Plattformen, von Bloomberg bis hin zur renommierten Wharton Business School.
Im August ging er gerichtlich gegen den YouTuber Atozy vor. Dieser bezeichnete ihn als einen „Dreckssack“ der seine Follower „betrügt.“ Dies veranlasste andere in der Krypto-Community dazu, für Atozys Rechtsverteidigung zu spenden.
Dazu kommt, dass die Prognosen der Influencer von Tag zu Tag gewagter werden. In einem aktuellen Video stellte Runefelt etwa eine weitere Einschätzung, am Krankenbett eines Followers.
„Die Inflation und der Zusammenbruch des Geldsystems könnten den Bitcoin auf Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Dollar steigen lassen“, sagte er. Runefelt sagte seinen Followern, dass die Münze bis 2024 weit über zehn Millionen Dollar (etwa 9.97 Millionen Euro) wert sein könnte – eine erstaunliche Steigerung von 4000 Prozent gegenüber dem heutigen Stand.
Ganz oben in den Kommentaren des Videos fixiert: ein Link, um sich bei Bybit zu registrieren.
Dieser Artikel wurde von Meltem Sertatas aus dem Englischen übersetzt. Den Originaltext findet ihrhier.